AG-60plus-Monatstreffen
Am Anfang wuchs die Stadt – nach unten
Zeitzeugen Ulla Becker und Hans Puchtinger erinnern an Gründung und Anfänge der Stadt Karben
50.000 Einwohner sollte die Stadt Karben am Ende haben – so sah es 1969 die Regionale Planungsgemeinschaft Untermain vor, die Karben als Unterzentrum und als Siedlungsschwerpunkt einordnete.
Diese Vorstellung wurde glücklicherweise später auf ca. 23.000 Einwohner reduziert, auf die Karben auch mittlerweile angewachsen ist. Doch zunächst wuchs die Stadt Karben nach unten.
Ehrenstadtrat Hans Puchtinger, seit den 1970er Jahren kommunalpolitisch aktiv und von 1992 bis 2004 hauptamtlicher Erster Stadtrat in Karben, erklärte den Gästen im vollbesetzten Gastraum der Gaststätte Schuldt, warum.
Voraussetzung für die in den 1970er Jahren vorgesehene Wohnbebauung zwischen Gehspitze und Kloppenheim war die Erstellung und Verbesserung der Infrastruktur zur Wasserversorgung und Entwässerung einschließlich Kläranlage. Die Wasserversorgung war in einigen Stadtteilen nicht voll gewährleistet. „In Klein-Karben und Petterweil gab es in Zeiten hohen Verbrauchs, wie z.B. am samstäglichen Badetag, kein Wasser“, so Puchtinger. In Rendel sei der Druck so gering gewesen, dass keine Waschmaschine richtig funktionierte.
Auch das Entwässerungssystem („Kanal“) war stark verbesserungsbedürftig. So musste die bereits vorhandene Kläranlage entsprechend dem damaligen Stand aufgerüstet werden. Hinzu kamen Kanalbaumaßnahmen in allen Stadtteilen und der Bau mehrerer Sammler. Puchtinger: „In den 1970er Jahren waren aufgerissene Straßen wegen der Verlegung von Wasser- und Kanalrohren in allen Stadtteilen ein gewohntes Bild. Burg-Gräfenrode wurde erst 1979 und Rendel 1986 an die Kläranlage angeschlossen. Bis dahin lief das Abwasser einfach in Nidda und Nidder“.
Ein Pumpwerk für Okarben, das für die Vermeidung von Rückstaus im Kanalnetz nach Regenfällen notwendig war, rundete die Investitionen ab, insgesamt ca. 20 Millionen Deutsche Mark (ca. 10,2 Mio Euro). „Die Kläranlage wurde zukunftsfest für 50.000 Einwohner-Gleichwerte geplant und gebaut, so dass sie auch jetzt noch ausreicht – darin sind auch die Gewerbebetriebe eingerechnet. Daher konnte zusammen mit Petterweil auch noch der Rosbacher Stadtteil Rodheim angeschlossen werden“, erläuterte der Ehrenstadtrat.
An dieser Gründerzeit der Stadt Karben hatte Paul Schönfeld einen großen Anteil, obwohl er nach Gerd Klein und Albert Schäfer bereits der dritte Bürgermeister der jungen Stadt war. Dafür war er insgesamt 18 Jahre im Amt, länger als jeder andere Bürgermeister.
Ehrenstadtverordnetenvorsteherin Ulla Becker hat ihn als gradlinigen, zuverlässigen und zielstrebigen Menschen kennen und schätzen gelernt.
Sie sagte, dass Schönfeld nach der Devise handelte "Wo ein Wille ist, findet sich auch ein Weg". Ulla Becker denkt an ihn mit Respekt und Dankbarkeit.
Er sei ein guter Kommunikator gewesen, heute würde man Netzwerker dazu sagen, ergänzte Puchtinger. Schönfeld war auch zeitweise Mitglied des Kreistags sowie im Kreisausschuss. So konnte er seine Verbindungen im Interesse Karbens einsetzen.
Aber auch andere Persönlichkeiten haben der jungen Stadt Karben ihren Stempel aufgedrückt. Der Revierförster Hans Fleischhauer habe den Karbener Wald in einem desolaten Zustand von der US-Army übernommen, die darin viele Jahren Übungen mit Panzern und anderem schweren Gerät durchgeführt hatte. Die Waldwege waren daher weitgehend geschottert. Fleischhauer schaffte es, dass wieder ein richtiger Erholungswald entstehen konnte, der die Karbener Bürger mittlerweile seit vielen Jahren zum Spazierengehen und Joggen einlädt.
Der damalige Stadtverordnetenvorsteher Helmut Heide gab mehrere Bände der „Karbener Hefte“ heraus, die sich mit der Geschichte der Stadtteile befassen. Außerdem war er Gründer der Arbeitsgemeinschaften für Sport und für Kultur, mit denen die jeweiligen Vereine ihre Angelegenheiten weitgehend unabhängig von der Stadtverwaltung regeln konnten.
Ein weiterer Stadtpionier war Edmund Felber, der vormalige Bürgermeister von Kloppenheim. Der Architekt sammelte und archivierte sehr viele Dinge aus Haushalten und Gewerbe und begründete damit das Landwirtschafts- und Heimatmuseum im Degenfeldschen Schloss. Das stark sanierungsbedürftige historische Gebäude wurde zunächst für viel Geld instandgesetzt, später kauften es private Investoren der Stadt ab und vollendeten die Sanierung. Museumsräume und Hochzeitssaal wurden anschließend von der Stadt wieder angemietet.
Puchtinger ist froh, dass das in der Amtszeit Paul Schönfelds erbaute Hallenfreizeitbad trotz hohen Betriebsdefizits und Sanierungsbedarfs Anfang der 2010er Jahre nicht aufgegeben wurde, sondern für einige Millionen Euro kernsaniert und modernisiert wurde und heute insbesondere auch wieder Kinder- und Schulschwimmen ermöglicht sowie unter anderem Reha-Anwendungen für Senioren anbietet.
Städtepartnerschaften mit den französischen Städten Ramonville St. Agne und St. Egrève waren Herzensangelegenheiten von Paul Schönfeld, Grundlage war die Aussöhnung mit dem ehemaligen Kriegsgegner Frankreich. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs 1989 kamen die thüringische Stadt Luisenthal sowie die tschechische Stadt Krnov als Partnerstädte hinzu. Viele Jahre gab es gegenseitige Besuche mit Menschen aus den Partnerstädten, die von der Karbener Stadtverwaltung organisiert und koordiniert wurden. Diese Aktivitäten werden inzwi-schen von einem Verein bzw. auf private Initiative wahrgenommen.
Auch die Gründung der Stadtkapelle Karben ging auf eine Initiative Schönfelds in den 1980er Jahren zurück. Nach seiner Amtszeit als Bürgermeister fungierte er schließlich noch als ehrenamtlicher Seniorenbeauftragter, bis ein Seniorenbeirat gewählt wurde.
„ ‚In Karben lässt sich’s leben‘ - dieser Spruch trifft immer noch zu, und das liegt maßgeblich daran, dass in den ersten Jahren nach der Stadtgründung die richtigen Entscheidungen getroffen wurden – viele davon in der 18-jährigen Amtszeit des Bürgermeisters Paul Schönfeld“.
Diese Feststellung von Ulla Becker und Hans Puchtinger wurde von den Gästen – nicht nur SPD-Mitglieder – durch Beifall bestätigt.